Schicksal: Roman
"Das Leben kann nur in der Schau nach rückwärts verstanden, aber nur in der Schau nach vorwärts gelebt werden." (Søren Kierkegaard)
Bei Atara die mit ihrem zweiten Mann Alex verheiratet ist, scheint sich in letzter Zeit eine Ehekrise anzubahnen. In ihrer Verzweiflung sieht sie nur noch das Negative bei Alex, derweil hat sie ihn doch einmal so geliebt und sogar für ihn ihren ersten Mann Doron verlassen. Sorgen macht sie sich auch um ihren Sohn Eden, der sich immer mehr zu Hause vergräbt nach seinem letzten Einsatz als Elitesoldat. Dann erfährt sie am Sterbebett ihres Vaters Meno von seinem großen Geheimnis über seine erste Ehefrau Rachel. Deshalb sucht sie die 90-Jährige auf, um mehr über ihren Vater und ihre Vergangenheit bei der Lechi zu erfahren, wo beide gekämpft haben. Das dann allerdings bei ihr das Schicksal erbarmungslos zuschlägt, ahnt sie hier noch nicht.
Meine Meinung:
Auf über 400 Seiten schildert die Autorin die Geschichte der beiden Frauen Rachel und Atara und sie offenbart ihre Verbindung, die zwischen diesen beiden noch völlig unbekannten Frauen steht. Es ist eine Zusammenfassung von familiären Lügen, Geheimnissen, Gewalttaten und Schicksalen, die sich in dieser Geschichte widerspiegelt. Rachel, inzwischen 90 Jahre alt, hat in ihrer Jugend für die Lechi gekämpft. Die Lechi war eine radikal-zionistische paramilitärische Untergrundorganisation in Palästina während des britischen Mandats. Sie führten terroristische Anschläge gegen die britische Besatzungsmacht durch. Dabei kamen auch einige ihrer Kameraden ums Leben, unter anderem Atara Schamir, dessen Tod Meno so zugesetzt hat. Viele Jahre lang dachten sie nur die Briten wären ihre Feinde, derweil gab es noch weitere Feinde in ihrem Land. In dieser Zeit treffen Rachel und Meno aufeinander, sie heiraten und verlieren sich in dieser Zeit wieder. Ihre Erlebnisse werden als großes Geheimnis vor ihren neuen Familien gehütet. Darunter wird Meno zum anerkannten Wissenschaftler, allerdings auch zu einem brutalen, herrschsüchtigen Sadisten, unter dem seine Familie zu leiden hat. Dass es schon mal eine Atara in seinem Leben gab, darüber verliert er kein Wort. Erst kurz vor seinem Tod weiht er seine Tochter ein, dass es schon einmal eine Ehefrau in seinem Leben gab. Zeruya Shalev zeigt hier, wie es Menschen geht, die mit Lebenslügen aufwachsen, verbittert sind über einen Vater, der anscheinend keine Liebe für sie übrig hatte. Kein Wunder, dass Atara Rachel aufsucht, um mehr über ihn aus der Vergangenheit zu erfahren. Bei den Autofahrten zu Rachel macht sie sich Gedanken über ihr eigenes Leben, die Entwicklung ihrer Ehe mit Alex, und dem seit kurzem so verschlossenen gemeinsamen Sohn Eden. Interessant ist dabei zu sehen, wie nicht nur das Schicksal Rachel und Meno auseinanderbrachte, sondern vor allem, wie es bei Atara zuschlägt. Dabei frustriert mich mitunter Ataras Charakter, der oft so voller Wut, Anklage und Negativem ist. Die Autorin veranschaulicht die Ängste von Müttern, die ihre Kinder an die Religion verlieren, um dabei zu lernen, dass man sie loslassen muss. Außerdem veranschaulicht sie, dass man nach einem Schicksalsschlag sein Leben in die eigene Hand nehmen muss. Sie stellt unter anderem ein Israel dar, das früher vor Vision, Mut, Ideale und Kraft strotze und heute eher geprägt ist durch Hektik, Gereiztheit, Enttäuschungen, Missgunst, Desorientierung und Ängste. Bemerkenswert ist dabei, dass Zeruya Shalev die Lechi rehabilitiert, Ehen nicht beschönigt, aufzeigt, wie zwei junge Männer zum Glauben der Väter zurückfinden statt zu zerbrechen. Manche Szenen allerdings haben mich dabei etwas überrascht, aber vor allem entsetzt, deshalb gibt es von mir 4 von 5 Sterne.
Ein Haufen Selbstmitleid.
Kurzmeinung: Wer keine Probleme hat, macht sich welche
Atara ist aus ihrer ersten Ehe ausgebrochen, nimmt ihre Tochter und zieht mit Alex zusammen, ihrem gutausehenden Lover. Leidenschaft, die sich bald verflüchtigt und dem Alltag Platz macht. Man hat keine finanziellen Sorgen, Atara und Alex haben beide gute Jobs, Atara verdient sogar mehr als ihr Mann. Man lebt in einem Bungalow mit Aussicht auf unverbaute Natur.
Doch die Patchworkfamilie funktioniert nicht zu aller Zufriedenheit, obwohl die verlassenen Ehepartner gute Miene zum bösen Spiel machen. Denn auch Alex hat einen Sohn aus erster Ehe. Die Kinder aus erster Ehe vertragen sich jedoch nicht. Ataras Tochter klammert, das belastet die neue Ehe mit Alex. Ein gemeinsamer Sohn, Eden, soll die Ehe kitten.
Als Atara, immerhin schon im mittleren Alter (50) ihren Vater begraben muss, erfährt sie, dass auch ihr Vater schon einmal in erster Ehe verheiratet gewesen ist. Die Welt verdunkelt sich und sie dreht am Rad.
Der Kommentar
Warum Atara so ausflippt, als sie erfährt, dass ihr Vater eine kurze Ehe mit einer gewissen Rachel geführt hat, ist mir unerklärlich. Das alles ist lange her und hat nicht das Geringste mit ihr zu tun. Sie hat nicht einmal Halbgeschwister. Atara will diese erste Frau, die gerade neunzig Jahre alt geworden ist und wie sich herausstellt – eine Aktivistin der ersten Stunde gewesen ist wie auch ihr Vater übrigens, unbedingt kennenlernen. Aber diese mauert.
Keine Ahnung, warum die beiden Frauen so ein Getue (darum) machen. Dann lernen sie sich endich kennen und es ist überhaupt nicht spektakulär. Als Ataras (jetziger) Ehemann Alex unerwartet schnell verstirbt, drehen sich ihre Gedanken im Karussell.
Leider muss die Leserschaft in dieses Karussell mitversinken und sich mitdrehen und kommt nicht mehr heraus aus dieser Spirale. Seitenlange innere Monologe über diese Ehe langweilen unendlich und bringen keinen Mehrgewinn, war sie verkorkst oder nicht, war es ein Fehler die erste Ehe aufzugeben und warum sind die Kinder so undankbar.
Rachel wiederum, die erste Frau von Ataras Paps, fragt sich, warum sie eine kalte Mutter gewesen ist und ob der Widerstand, den ihre kleine Gruppe gegen die Briten leistete, vergeblich war. Ständig zählt sie die Namen der Gruppenmitlieder ab, die im „Kampf“ gefallen sind, wie einen Reim. Ja, es ist schlimm, wenn junge Menschen ermordet werden, doch Rachel ist sich keine Minute lang dessen bewusst, dass sie selber eine Terroristin und Mörderin gewesen ist.
Fazit: Ziemlich belanglose Geschichte mit viel im Kreis gehenden inneren Monologen und Einseitigkeiten und sprachlichen Überspanntheiten. Gelegentlich erhält man mal ein Zipfelchen israelischen Lebens, aber wirklich nur ein Zipfelchen; immerhin sind es diese Zipfelchen, die den Roman über eine ZweiSterneWertung heben, aber nur knapp, ganz knapp.
Kategorie: Erzählung. Israel.
Berlinverlag 2021